Die Überraschung in Istanbul

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Die Kiremit Caddesi

Vollkommen erschöpft schlafen wir uns erstmal aus und gehen am nächsten Morgen auf Entdeckungstour. Wir sind in einem der alten Istanbuler Holzhäuser in der Kiremit Caddesi  untergekommen; die Straße bildet die Grenze zwischen Balat, dem ehemals jüdischen Viertel, und Fener, dem alten griechischen Viertel. Heute werden die beiden Viertel durch Türken aus Anatolien, Roma und syrischen Flüchtlingen bevölkert. Viele Häuser sind ziemlich verfallen, teilweise einsturzgefährdet. Die Viertel sind jedoch voller Leben und verkörpern für viele das alte authentische Istanbul. Kinder spielen Fußball vor unserer Haustür, Wäscheleinen säumen die Straße, fliegende Händler bieten ihre Waren zum Kauf: um 10 Uhr jeden Morgen schiebt immer der gleiche Händler unter lauten Rufen eine Art Vitrinenwagen mit herzhaften gefüllten Brötchen durch die Straße, danach kommt der Fischhändler mit seinem Holzwagen, danach ein Händler mit Zwiebeln und Kartoffeln.

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Wir treffen uns mit unserer Vermieterin Işıl zu einem zweiten Frühstück. Sie zeigt uns die Gegend, es sind nur ein paar Schritte bis zur Vodina Caddesi mit vielen kleinen Lebensmittelläden, Imbissen und Cafés. Und bis zum Goldenen Horn. Bei einem türkischen Kaffee erzählt sie uns viel über das Leben in Istanbul. Wie sich das Leben der Menschen in der riesigen Stadt oft innerhalb des eigenen Viertels abspielt. Sie hat Fener und Balat erst vor zwei Jahren entdeckt, eines der alten Häuser gekauft, umfassend renoviert und lebt jetzt von den Mieteinnahmen. Mich interessiert insbesondere die Entwicklung und Zerissenheit zwischen Moderne und (religiöser) Tradition der Türkei. Überall in der Türkei, an Häuserwänden, in Geschäften und Restaurants, haben wir das Konterfei Atatürks gesehen, der als Gründungsvater der Türkei als säkulärem Staat verehrt wird. Der Nationalfeiertag steht vor der Tür, an dem die Ausrufung der Republik durch Atatürk in 1923 gefeiert wird, ein wichtiger Tag für Işıl. Für das Wochenende danach sind Neuwahlen angesetzt, das erste Ergebnis hatte der aktuellen Regierung, die für den Rückschritt der Türkei steht, nicht gefallen. Eine interessante Woche liegt vor uns. Die Türkei macht schwere Zeiten durch, als Işıl das Attentat in Ankara Mitte Oktober erwähnt, stehen ihr Tränen in den Augen.

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Mit viel Engagement schreibt uns Işıl einen 6-seitigen Plan für unsere Zeit in Istanbul und gibt uns viele nützliche Tipps. Wir bestellen eine weitere Runde Kaffee. Der junge Inhaber ist mit viel Hingabe und Leidenschaft am Werk und erklärt uns die einzelnen Schritte der türkischen Kaffeezubereitung genau. Er benutzt wunderschöne, massive Cezve aus Kupfer, die in Istanbul von Hand gefertigt werden. Wir sind begeistert. Mit einem Anruf bringt er in Erfahrung, wo wir einen solchen Cezve kaufen können: Bei einem älteren Herrn namens Adnan Bey, am Gewürzmarkt erste links.
Also auf zum berühmten Gewürzmarkt in Eminönü. Als wir uns ins enge Gewusel stürzen, wird uns schnell klar, dass es einige Zeit dauern wird, bis wir „am Gewürzmarkt erste links“ finden werden. Laden an Laden, viele Gassen, die sich auch noch weit über die Halle des eigentlichen Gewürzmarktes erstrecken. Wir beginnen uns bei den „Kundenanwerbern“, die jeder Marktstand hat durchzufragen. „Adnan Bey? Ja sicher, da unten, Stand Nummer 59“. Eine halbe Stunde suchen wir vergebens nach Stand Nummer 59. Wir fragen nochmal. Und nochmal. Und schließlich finden wir ihn, den kleinen Marktstand von Adnan Bey. In einer kleinen Vitrine finden wir dann auch nach einigem Hin- und Her die richtigen Cezve. Wir verhandeln einen guten Preis und nehmen zwei Cezve mit nach Hause.
Der Tag neigt sich schon dem Ende zu und wir haben einen Bärenhunger. Wir nehmen den Bus zurück nach Balat und machen an einem Köfteimbiss halt. Als wir beide Nachschlag bestellen, macht der Koch große Augen und formt mit seinen Händen lachend einen dicken Bauch.

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Wir machen viele Stadtspaziergänge in unseren Tagen in Istanbul. Geht man von unserer Wohnung aus ein paar Straßen den Berg rauf, landet man schnell in einer sehr traditionellen Gegend. Die meisten Frauen sind komplett schwarz verschleiert, auch die Männer tragen traditionelle Gewänder. Als wir einen muslimischen Zubehörladen betreten und die Gebetsbänder ansehen, lacht der Ladenbesitzer fröhlich und schenkt uns Bonbons. Weiter geht’s. Kinder spielen in den Straßen, überall wuseln Katzen, Wahlplakate, buntes Treiben.

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Wir kosten die wunderbare türkische Backkultur vollends aus. Wir probieren uns durch sämtliche Baklava bei den Bäckern unserer Nachbarschaft (unten auf dem Bild der Gewinner). Ganz groß sind auch süße Tahinschnecken. Türkisches Brot gibts überall und jeden Tag frisch für 1 Lira. Und morgens gibt es beim Bäcker um die Ecke frischen, warmen Börek mit Schafskäse oder Hackfleich, der vor Ort in kleine verzehrfertige Stücke geteilt wird. Die Dame des Hauses spricht als einzige im Umkreis fließend Englisch und wird jedes Mal geholt, wenn ich den Laden betrete.

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Wir spazieren am Goldenen Horn entlang Richtung Eminönü. Es ist immer wieder ein besonderer Moment, wenn die Muezzine der Stadt zum Gebet rufen und die Gesänge von allen Seiten schallen. Auf der Galatabrücke stehen die Angler jeden Tag dichtgedrängt. Am Bosporus fahren die Boote kreuz und quer. Wir nehmen die Fähre nach Kadiköy auf der asiatischen Seite und verbringen einen netten Nachmittag in dem einzigen Laden für Reiseradlerzubehör in der Türkei. Der Laden wird von einem Reiseradlerpärchen betrieben und ist ein beliebter Treffpunkt. Ein Radler, der schon über 70 ist, bringt Kuchen vorbei, den wir gemeinsam bei Tee verspeisen. Wir erstehen noch zwei Servicesets für unsere Rohloffnaben und fahren schließlich in der blauen Stunde mit der Fähre zurück nach Hause.

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Auf der Galatabrücke
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Am Bosporus
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Die blaue Stunde

Wir genießen unsere Zeit in Istanbul sehr. Und es wird noch besser, als eines Abends plötzlich das Telefon klingelt. Meine Eltern sind in der Stadt! Nach dem ersten „haha, guter Witz“ nehmen wir ein Taxi und fahren ins Hotel Divan. Die Überraschung ist gelungen und die Freude groß! Wir verbringen den Abend in der Hotelbar und haben uns viel zu erzählen.
Die Hotelwahl meiner Eltern ist kein Zufall, unsere großzügigen Freunde Fabi und Yuriy hatten uns zum Abschied eine Übernachtung in dem feinen Traditionshotel geschenkt.

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Die Überraschung!

Es dauert noch ein paar Tage bis wir ins Divan umziehen und so zeigen wir meinen Eltern am nächsten Morgen erstmal unser Viertel. Nach einem ausgiebigen türkischen Frühstück schlendern wir nach Eminönü, besuchen den Gewürzmarkt und machen eine Bosporusbootstour. Es ist sehr windig und so ziehen wir alles an, was wir dabei haben und trinken einen türkischen Tee nach dem anderen.

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Jede Kopfbedeckung ist willkommen

In den folgenden Tagen machen wir viele Stadtspaziergänge und endecken die Stadt aufs Neue. Wir besuchen die Wahrzeichen der Altstadt Fatih, erfreuen uns an der türkischen Küche, fahren nochmal auf die asiatische Seite. Die Bilder sprechen für sich:

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Im Hintergrund der Galataturm

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Der Gewürzmarkt, Papa ist größer
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Auf dem Weg nach Asien

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Die Hagia Sophia

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Was ein Ausblick!

Die Tage verfehen wie im Flug. Zum Schluss entspannen wir noch im Spa-Bereich des Divan (brav Männer und Frauen getrennt) und dann ist schon die Zeit gekommen, die Taschen zu packen. Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück nehmen wir schweren Herzens Abschied. Istanbul werden wir nicht so schnell vergessen.

Mama und Papa: Vielen Dank nochmal, dass ihr da wart! Es war toll!
Fabi und Yuriy: Wir haben das Divan sehr genossen!

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Abschiedsbild

Vom Flughafen trennt uns noch eine verrückte Fahrradfahrt durch den wuseligen Verkehr Istanbuls, doch dann ist es geschafft.

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Auf nach Neuseeland!