Es folgt ein Gastbeitrag von Tim, der uns auf dieser Strecke begleitet hat:
3 Länder, 3 Hauptstädte, ein mir unbekanntes Gebirge und die Möglichkeit meine Freunde ein Stück auf ihrer Reise zu begleiten, das waren die ausschlaggebenden Argumente die Fahrt nach Wien zu buchen. Da ich für eine Radreise nicht so gut ausgestattet bin wie die beiden Kopiloten, musste ich mir aus allen Ecken mein Equipment zusammensuchen. Vielen Dank an alle, die mir ihre Sachen zur Verfügung gestellt haben. Von Siegen aus ging es dann über Köln mit dem Nachtzug nach Wien.
Tag 1
Nach einer mehr oder weniger erholsamen Nacht habe ich mich dann durch die Gassen Wiens zum gemeinsamen Treffpunkt auf der Donauinsel gekämpft. Von dort aus startete unsere gemeinsame knapp zweiwöchige Reise durch die Slowakei nach Ungarn.
Am ersten Reisetag ging es bei hochsommerlichen Temperaturen über den Donauradweg knapp 75 km nach Bratislava. Dieser Abschnitt des Donauradweges gehört wohl zu den unattraktiveren Abschnitten. Der Weg führte zum größten Teil über einen Hochwasserdamm, der gefühlt 30km geradeaus ging. Der Ausblick beschränkte sich dabei auf Bäume rechts und links neben dem Weg. Die Donau bekam man erst wieder 20 km vor Bratislava zu sehen. 10 km vor Bratislava passierten wir dann die Grenze zur Slowakei. Gegen 16 Uhr checkten wir in unsere Pension ein. Den weiteren Tag verbrachten wir mit ein wenig Sightseeing und einem gutem slowakischen Abendessen. Die Preise in der Slowakei kamen meinem knappen Studentenbudget sehr entgegen. Für noch nicht einmal 10 € p.P. in einer europäischen Hauptstadt essen zu gehen und dabei noch ein schön süffiges Bier zu trinken, das hat schon was.

Tag 2
Aufgrund von Zahnschmerzen des Kopiloten stand als erstes ein Zahnarztbesuch auf dem Programm. Nachdem wir dann feststellen mussten, dass slowakischer Nationalfeiertag war, ging es auf die Suche nach dem Notdienst. Fündig wurden wir dann in einer etwas dunkleren Ecke Bratislavas. Vertrauenswürdig sieht anders aus. Trotz Verständigungsproblemen konnte dem Kopiloten geholfen werden. Allerdings stellte dies nur eine Notversorgung dar und so beschlossen wir einen weiteren Tag in Bratislava zu verweilen, um am nächsten Tag einen Zahnarzt aufzusuchen, der der englischen Sprache mächtig war. Wir verbrachten den Nachmittag auf einem Zeltplatz an einem See in Bratislava. Da Nationalfeiertag war, war der See sehr gut besucht und die dort installierte Wakeboardanlage stark frequentiert. Es war schon interessant zu sehen, wie manche Leute über eine Stunde im Kreis fahren können.


Tag 3
Am dritten Tag suchten wir dann einen internationalen Zahnarzt im Businessviertel von Bratislava auf. Die Diagnose lautete Zahnfleischentzündung am Weisheitszahn. Die Notversorgung den Tag zuvor hatte aber gute Arbeit geleistet und somit konnte die Reise mit einer Flasche Mundspülung fortgesetzt werden. Unser Weg führte uns über eine flache Etappe durch viele kleine Dörfer in Richtung Osten. Diese Region des Landes wird intensiv landwirtschaftlich genutzt und so fuhren wir an endlosen Kilometern Mais-, Korn- und Sonnenblumenfeldern vorbei. Gegen Abend entschlossen wir unsere Zelte auf einem schon gerodeten Kornfeld zwischen einer Bundesstraße und einer Bahntrasse aufzustellen. Die Bahntrasse wurde leider mehr genutzt als erwartet und so wurde man so manches mal von vorbeifahrenden Zügen geweckt.
Tag 4
Morgens wurden wir schon früh von den Zügen und arbeitenden Landmaschinen geweckt. Unsere Zelte wurden von den Bauern zwar gesehen, aber gestört hat es keinen. Wildzelten ist in der Slowakei zwar auch verboten, aber wenn man nicht gerade in einem Nationalpark sein Zelt aufschlägt, stört es niemanden. An diesem Tag hatten wir das Ziel die ersten Ausläufer der Karpaten zu erreichen und somit lagen ca. 75 km vor uns. Das Fahren war sehr angenehm, da das Wetter immer noch ziemlich gut und warm war. Nach ca. 30 km wurde die Landschaft hügeliger und sofort ging mein Siegerländer Herz auf. Das Flachland ist nicht so meins und für einen schönen Ausblick fahre ich gerne mal ein paar Meter hoch. In einem Park in einem schönen kleinen Dorf haben wir eine ausgedehnte Mittagspause verbracht, um Kraft für die folgenden Kilometer zu schöpfen. Auffällig waren auf dieser Tagesettape die vielen Hühnermastanlagen aus alten Sowjetzeiten. Die Anlagen sind mittlerweile zum größten Teil verfallen und werden nur noch teilweise genutzt. Aufgrund der schlechten Erfahrungen vom Vortag entschieden wir uns diesmal den Platz zum Wildzelten ein wenig besser zu planen. Wir fuhren an den Rand eines Waldstückes und stellten unsere Zelte auf einem Feld auf. Von dort aus hatten wir einen traumhaften Blick auf die ersten Hügel der Karpaten. Ich saß noch lange mit dem Kopiloten auf ein paar Bier und Cider vor dem Zelt und habe den Moment genossen und auf mich wirken lassen.



Tag 5
An diesem Tag klingelte der Wecker ziemlich früh, da wir uns zum einem einen schönen Sonnenaufgang erhofft hatten und zum anderen eine 90 km Etappe nach Banská Bystrica vor uns lag. Der Sonnenaufgang blieb uns aufgrund starker Bewölkung leider verwehrt, aber die ersten Morgenstunden waren auch so beeindruckend. Nach kurzer Zeit befanden wir uns dann in den Karpaten. Über Nebenstraßen ging es das Tal des Hron hinauf. Mittagspause machten wir in einem slowakischen Restaurant in der Nähe der Autobahn. Dort probierte jeder von uns ein anderes Tagesmenü, ohne wirklich zu wissen was uns erwartet, da die Karte nur auf Slowakisch war und auch die Bedienungen so gut wie kein Englisch verstanden. Im Nachhinein war keiner von seiner Bestellung enttäuscht und der erste gute Eindruck der slowakischen Küche wurde bestätigt. Die nächsten Kilometer gingen durch eine immer schöner werdende Landschaft. Kurz vor Zvolen konnten dann auch die ersten Gipfel mit über 2000 m erspäht werden. Nach zwei Tagen ohne Dusche entschlossen wir uns an diesem Tag für eine Wohnung in einem Plattenbau über booking.com. Die Wohnung wusste durchaus zu überzeugen und nach einer heißen Dusche fiel man abends erschöpft ins Bett.

Tag 6
Nach der 90 km Etappe vom Vortag waren die Beine bei allen noch ganz schön schwer. Bevor es allerdings den wohl verdienten Ruhetag gab, waren noch 55 km bis nach Brezno zu absolvieren. Der Versuch über Radwege zu fahren, scheiterte schon nach wenigen Kilometern an einem im Nichts endenden Weg. Somit ging es wieder auf Nebenstraßen das Tal weiter hinauf. An einer Stelle mussten wir sogar ein kleines Stück über die slowakische Autobahn fahren, was aber auch problemlos gemeistert wurde. Mittagsessen gab es diesen Tag wieder an einem Restaurant an einer Schnellstraße. Das Restaurant war komplett aus Holz gefertigt und die laute slowakische Volksmusik rundete das harmonische Bild ab. Auch vom Essen wurde man hier wieder nicht enttäuscht. Unser heutiges Ziel war ein Campingplatz in Rohozná bei Brezno, auf dem wir unseren Ruhetag verbringen wollten. Der Campingplatz wird von einem holländischen Pärchen geführt, welches der stressigen westlichen Arbeitswelt entflohen ist. Neben dem Campingplatz verdienen die beiden ihr Geld durch den Verkauf von selbstgemachtem Likör und Schafsfellen. Der Campingplatz war liebevoll eingerichtet. Neben einem Pool, der gestaltet war wie ein Teich, gab es noch eine Hängematte und eine Feuerstelle. Uns kam besonders entgegen, dass es im Wohnhaus eine Küchenzeile und Sitzecke gab, die wir mitnutzen konnten. Die Temperaturen sind an diesem Tag extrem gefallen, was ein Kochen im Freien nicht sehr angenehm gemacht hätte. In der Nacht bekam man in den Zelten noch Besuch von den am Platz lebenden Katzen. Für diese war es anscheinend ein großes Vergnügen auf unseren Innenzelten zu turnen.



Tag 7
Ruhetag! Mehr gibt es eigentlich zu dem Tag nicht zu sagen. Jeder entspannte so, wie er wollte. Die Kopilotin half der Frau des Hauses bei der Herstellung eines Zwetschgenlikörs, der Kopilot beschäftigte sich mit der Elektronik und ich mich mit Holzspalten. Am Nachmittag ging es dann gemeinsam eine kleine Anhöhe hinauf, von der man einen traumhaften Blick auf die Landschaft hatte. Die Karpaten sind ein Gebirge, von dem ich vor dieser Reise so gut wie keine Vorstellung hatte. Die riesigen wilden Laubwälder wissen aber durchaus zu überzeugen. Kein Wunder, dass es hier wildlebende Bären und Wölfe gibt. Der Wald wird hier deutlich weniger bewirtschaftet und es gibt Gebiete, in die nur selten ein Mensch einen Fuß hinein setzt. Von den Bären haben wir übrigens nicht viel mitbekommen. Uns wurde zwar bestätigt, dass in den umliegenden Bergen drei Braunbären leben, doch selbst der seit neun Jahren in Rohozná lebenden Besitzer des Campingplatzes hat diese noch nie zu Gesicht bekommen. Den Abend ließen wir dann am Lagerfeuer ausklingen.





Tag 8
Da wir in der ersten Woche der Tour schon sehr viele Kilometer gemacht hatten und wir somit einen gewissen Puffer bis Budapest hatten, beschlossen wir einen weiteren Tag auf dem Campingplatz zu verbringen. Neben uns waren nicht sehr viele Menschen auf dem Platz. Die meisten anderen Gäste kamen aus den Niederlanden und ein paar wenige aus der Slowakei. Den zweiten Tag verbrachten wir genauso entspannt wie den ersten mit viel Nichtstun und einer kleinen Wanderung (Kommentar: mit Schlangenerlebnis). Am Abend war der Himmel extrem klar und man hat einen umwerfenden Sternenhimmel zu sehen bekommen. Ich konnte den beiden Koplioten erst nicht glauben, als sie mir erzählt haben man würde die Milchstraße sehen, aber die beiden haben wohl Recht behalten. Bei dem klaren Himmel war die Nacht dann auch dementsprechend kalt und auf den Höhen fielen die Temperaturen unter 0 Grad.



Tag 9
In den letzten beiden Tagen hatten wir genug Energie getankt und so fühlten wir uns fit um den Hochpunkt dieses Tourabschnittes in Angriff zu nehmen. Der Weg führte über eine Passstraße die am höchsten Punkt ca. 1030 m ü.N.N. lag. Die Straße ging dabei fast die ganze Zeit durch ein riesiges Waldgebiet und der Verkehr hielt sich in Grenzen. Oben angekommen sind wir noch zu einem Aussichtspunkt gefahren und haben den Blick auf die höheren Karpaten genossen. Die Abfahrt führte uns über eine kleine Nebenstraße durch ein enges Tal in Richtung Kokava. Schon auf der ganzen Fahrt fanden Hunde uns Radreisenden so interessant, dass sie bellend zum Zaun gerannt sind. Bei der Abfahrt sind wir aber durch ein so abgelegenes Tal gefahren, dass es keine Zäune mehr um die Häuser gab und so kam es, dass wir zweimal vor Hunden flüchten mussten. Meine roten Turnschuhe waren für die Hunde dabei wohl besonders reizvoll. Nach ca. 55km haben wir dann Kokava erreicht. Dort entschieden wir uns aufgrund der schon späteren Uhrzeit eine Pension zu nehmen. Für 11 € p.P. bekamen wir ein großes Zimmer über einer Pizzeria, in der wir vorher auch zu Abend gegessen hatten.
Tag 10
Dieser Tag startete schon ziemlich früh, da wir am Abend noch einmal wildzelten und wir keinen Stress bei der Suche nach einem geeignetem Platz haben wollten. Nach einem Frühstück im Pensionszimmer inklusive Eier und Kaffee kochen ging es dann um 9 Uhr auf die Räder. Schon nach kurzer Zeit verließen wir die höheren Täler der Karparten und das Tal öffnete sich zu einer leicht hügeligen Landschaft. Über die überraschend schöne Stadt Lučenec ging es dann auf ziemlich direkten Weg nach Süden. Gegen Mittag erreichten wir dann den Grenzübergang nach Magyarország. Nach ca. 75 Tageskilometern machten wir uns am frühen Nachmittag auf die Suche nach einem Platz zum Wildzelten. Über eine Kuhweide ging es auf eine Anhöhe, auf der wir unsere Zelte aufgeschlagen haben. Abends haben wir dann noch ein kleines Lagerfeuer gemacht und auf den wieder sehr klaren Sternenhimmel geschaut. Die Milchstraße war deutlich zu erkennen und ich hatte noch das Glück eine Sternschnuppe zu sehen.





Tag 11
Auf den ersten Kilometern dieser Etappe fielen die vielen Stände am Straßenrand auf, an denen selbstangebaute Paprika, Kürbisse und Knoblauch verkauft wurden. Generell ist dieser Teil Ungarns wohl sehr von der Landwirtschaft geprägt. Größere Industrieunternehmen waren zumindest auf unsere Route nicht auszumachen. Gegen Mittag machten wir uns auf die Suche nach einer Lokalität, um etwas Warmes zu essen. Fündig wurden wir im Garten eines älteren Paares, das dort Pizza, Eis und Kaffee verkaufte. Die beiden haben sich bei der Zubereitung wirklich Mühe gegeben und die Zutaten kamen zum größten Teil aus dem heimischen Garten. Geschmacklich war die Pizza auch top und so ging es gut gestärkt zurück auf die Fahrräder. Beim Essen entschieden wir uns dafür den Abend in einer Pension 40 km vor Budapest zu verbringen. Bis zu dieser Pension hatten wir noch eine Strecke von über 40 km vor uns, die sich bei schlechter werdendem Wetter ganz schön gezogen haben.
Tag 12
Die letzten 40 km nach Budapest waren aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens nicht gerade angenehm zu fahren. Aber gegen halb 1 Uhr erreichten wir dann unversehrt unsere Wohnung in Budapest. Da die beiden Kopiloten ein paar Tage in Budapest bleiben wollten, haben sie sich über Airbnb eine schöne Wohnung direkt in der Budapester Altstadt gegönnt. Leider war das Wetter an diesem Tag etwas verregnet und so wurde der Stadtbummel nach kurzer Zeit abgebrochen. Schade, ich hätte die Stadt gerne bei gutem Wetter gesehen aber am nächsten Tag stand leider schon meine Rückfahrt nach Siegen an.

Tag 13
Mit einem etwas mulmigen Gefühl habe ich mich an diesem Morgen auf den Weg zum Bahnhof Budapest-Keleti gemacht. In den Tagen zuvor habe ich viele Berichte über die Zustände am Bahnhof gelesen und war mir über die Brisanz bewusst. Vor dem Bahnhofsgebäude befindet sich ein größerer Platz, von dem man in die unterirdisch liegende Metrostation schauen kann. Dort lagen hunderte von Menschen teilweise ohne Schlafsack auf blankem Beton. Vereinzelt waren Stände von Hilfsorganisationen auszumachen, die die Flüchtlinge zumindest mit dem Notwendigsten versorgten. Der oberirdische Zugang zum Bahnhof war bis auf eine Tür verschlossen. An dieser Tür standen 5 Polizeibeamte, die darüber entschieden, wer das Bahnhofsgebäude betreten durfte und wer nicht. Ich wurde ohne Vorzeigen einer Fahrkarte oder eines Ausweises in den Bahnhof gelassen. Im Gebäude führten Treppen hinunter zur Metrostation. Der Zugang war über Gitter verschlossen und dahinter standen hunderte von Menschen und versuchten in den Bahnhof und zu den dort wartenden Zügen zu gelangen. Ein Tor war geöffnet und in Kleingruppen wurden Flüchtlinge zu den Gleisen gelassen, wo Sonderzüge zur ungarisch-österreichischen Grenze bereitstanden. Der Druck, der durch die Menschenmassen auf diesen kleinen Zugang ausgeübt wurde, muss enorm gewesen sein. Man hörte in der ganzen Bahnhofshalle die Schreie der Menschen. Wer sich solche Strapazen antut und dafür seine Heimat verlässt, wird dies nicht ohne Grund tun. Diesen Leuten muss geholfen werden, anstatt darüber zu reden, wie man besser die europäischen Außengrenzen dicht macht. REFUGEES WELCOME!
Für mich ging es dann mit dem EC nach Dresden. Knapp 10 h durch Ungarn, Slowakei und Tschechien. Nach 17,5 h Fahrt erreichte ich dann total erschöpft den Siegener Bahnhof.
Die 13 Tage vergingen wie im Fluge und ich beneide die beiden Kopiloten, dass sie diese Art zu reisen ein Jahr lang praktizieren. Durch das langsame Reisen bekommt man sehr viele Eindrücke von einem Land und lernt auch viele Menschen kennen. Es war schön nochmal knapp 2 Wochen mit den beiden zu verbringen.